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Neues Jahr – neuer Chef

Simone

„Guten Morgen Mathilda! Schön, dich zu sehen“, strahle ich. Zum Fenster herein leuchtet die Sonne nach Wochen des Am-Ofen-ists-am-schönsten-Wetters von einem klarblauen Himmel. „Ja, warum soll ich mich nach den Rauhnächten einfach verpieseln… jetzt wird’s ja interessant, wo die Welt wieder aus dem Besinnlichkeitsmodus aufwacht“, grinst Mathilda süffisant. „Und, hat dich der Joballtag schon absorbiert?“ „Jein“, entgegne ich. „Klar bin ich in Gedanken bei meinen Kunden, anliegenden Dingen und bevorstehenden Terminen. Aber noch ist es relativ ruhig. Ich bin noch im Übergangsmodus. Der Jobmodus ist ja der, in dem das Hirn konzentriert die Tasks abarbeitet, die ihm der Auftraggeber aufgegeben hat. Also das Ich, das auf Basis der Anforderungen entscheidet, was wann wie zu tun ist. Das ist eigentlich nicht viel anders als in einem Angestelltenverhältnis. Nur dass eben das Ich der Chef ist.“ „Na, diese Position intern zu haben, ist doch ein schöner Umstand. Gibt dir und deinem inneren Team größtmögliche Gestaltungsfreiheit“, bemerkt Mathilda. „Ja, einerseits. Andererseits hat dieser Arbeitsmodus eine Qualität, die … hmm … irgendwie leuchtender, farbiger, lebendiger sein könnte. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Ich habe eigentlich lauter Lieblingskunden – die machen gute Sachen, die die Welt tatsächlich braucht und der Umgang mit ihnen macht Freude. Dieser gewisse Grauschleier, der den Arbeitsmodus überzieht, hängt vielleicht mit der vielen Bildschirmarbeit zusammen. Aber nicht nur.“ Ich spüre in mich hinein, während Mathilda mich mit erwartungsvollem Lächeln fixiert. „Der Chef hat sonne ,Das-wird-jetzt-so-gemacht‘-Attitüde. Er hat das so entschieden und das Team darf das jetzt nach seinen Vorstellungen umsetzen. Aber das Team wäre leidenschaftlicher am Werk, wenn es in seinem ganzen Tun fühlen würde, wofür es das tut. Und dann wie ein Orchester in harmonischer Kohärenz spielen würde, anstatt dass da immer mal wieder ein Flötist in seinen Lieblingsnoten kramt oder der Bassist meint, er brauche eigentlich mal wieder neue Saiten …“ „Hmmm,“ sinniert Mathilda mit geschlossenen Augen „Das ist natürlich die höchste Form der Kunst, ein Zusammenspiel, das aus einer gemeinsamen, energetischen Mitte kommt.“ Sie schlägt die Augen auf: „Dazu muss man gut aufeinander eingetunt sein. Sehr gut. Das ist eine Beziehungsfrage.“ Sie tippt mit dem Finger auf dem Tisch einen zarten rhythmischen Takt. Ich lächle. Es juckt mich, mit dem Löffel und der Kaffeetasse in den Rhythmus einzustimmen, aber ein Gedanke drängt sich nach vorne. „Es gibt doch diesen Spruch ,Wes Brot ich ess, des Lied ich sing‘. Ich kann den nicht leiden, weil da dieser blinde Gehorsam drinsteckt. Der auch so ein bisschen gegenüber meinem Chef-Ich spürbar ist. Aber eigentlich ist es doch unser verengter Blick, der den Spruch so bescheuert macht. Mit dem Geld vom Chef kann ich mir keine Lebensmittel kaufen, wenn die Natur sie nicht wachsen lässt. Geschweige denn Gesundheit, wenn unsere Zellen nicht mitspielen.“ „Ergo ist der eigentliche Chef nicht der Typ mit der Kontovollmacht, sondern das Leben“, schlussfolgert Mathilda. „Genau.“ Ich blinzle lächelnd in die Sonne. „Hallo Leben!“

„Weißt du was?“ eröffnet Mathilda nach einem Genießermoment. „Lass dich doch vom Leben anstellen. Das ist der Dirigent, den du suchst. Ohne diese oberflächliche Autoritäts-Attitüde. Wenn du diesem Dirigenten in die Augen schaust, siehst du dadrin die Begeisterung blitzen. Und der Funke springt auf dich über. Und alle, die mitspielen und den Funken auffangen, spielen aus vollem Herzen zusammen.“ „Klingt super“, sinniere ich. „Nur wie gelingt es, auch den Flötisten, Bassisten und wer weiß wen noch mit seinem eigenen Kopp einzubinden?“ „Aufmerksamkeit und Beziehungspflege“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Eigentlich wusste ich das schon. „Wenn der Dirigent den Taktstock hebt, geht’s los. Egal, wer gerade welche Mittel hat, JETZT darf er mit den verfügbaren Ressourcen sein Bestes geben. Und du wirst sehen…“, Mathilda beugt sich vor und senkt ihren Blick in meinen „… das macht soooo einen Spaß!“ Sie giggelt, wirft die Arme hoch und lässt sich von der Sonne umarmen. Ich lasse den Gedanken in mich einsinken. „Beim Leben angestellt. Ja. Das hört sich gut an. Das fühlt sich gut an. Ab jetzt mach ich nur noch Beziehungspflege. Der Rest ergibt sich.“ Ein Lächeln von einem Ohrläppchen zum anderen breitet sich auf meinem Gesicht aus. „Und jetzt geh ich Teigrühren.“ „Ei, was machst du Schönes?“ Mathilda ist blitzwach und gespannt. „Schokoplätzchen. Ich sach dir, die werden lecker! Ich kombiniere die Basis des Rezepts für die butterzarten Orangenplätzchen mit den Glückshormonen der Schokolade, von denen hier noch Berge rumliegen. Außerdem ist es … Beziehungspflege.“ „Natürlich“, Mathilda klimpert mit den Augendeckeln. „Ich liebe substanziell unterfütterte Beziehungen.“ „Da sind wir schon zwei“, keckere ich. „Aufi geht’s!“ „Auf ein leckeres, beziehungsreiches und glückliches Jahr“, intoniert Mathilda und ich stimme ein „…mit vielen leuchtenden Farben und einem Riesen-Klangspektrum mit allen Ober- und Untertönen, yeah!“

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