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Die Echte Kamille: Wendlandgold

Simone

Wer lugt im Sommer tausendfach mit goldenen Köpfchen in weißem Halskragen aus unseren Getreidefeldern? Vor dem filigranen Gewächs mit den Riesenkräften darf man sich ruhig mal niederknien. Dann belohnt es dich mit einem zartfruchtigen Duft, der alle trüben Gedanken und bösen Geister postwendend ins Nirwana schickt.

Ja! Es ist die echte Kamille. Denn nur die hat diesen Duft, der so rein gar nichts zu tun hat, mit dem muffigen Teebeutelaroma, mit dem man mich zu Kinderzeiten jagen konnte. Von ihrer etwas kräftigeren Schwester, der geruchlosen Hundskamille, kannst du sie gut dadurch unterscheiden, dass ihr gelber Korbblütenboden hochgewölbt ist und sich deiner Nase schon erwartungsvoll entgegenreckt.

Die Kamille ist seit der Jungsteinzeit, als unsere Vorfahren sesshaft wurden, unsere Kulturbegleiterin. Sie wächst gerne auf Brachland, konnte sich also gut auf den umgebrochenen Böden der angelegten Äcker ansiedeln. Ähnlich lange dürfte sie als wertvolle Heilerin geschätzt sein, zumindest ist belegt, dass sie bereits in heidnischer Zeit zu den wichtigsten Heilpflanzen zählte. Mit dem Aufkommen der modernen Landwirtschaft, mit Kunstdünger- und Pestizideinsatz verschwand der gute Geist gegen so viele Maleschen weitgehend aus der Landschaft.

Wiederentdeckt habe ich die Echte Kamille im Wendland. Bei einem Open-Air-Konzert auf dem Hof eines Biobauern fand ich auf dem Getreidefeld einen duftenden Reichtum, mit dem man hätte Badewannen füllen können. Was für ein Flash! Mit einem fetten Strauß und von einer Duftwolke umflort schwebte ich zurück zu Fiedel- und Harfenklängen. Nun war klar: Hier im Kamillenland wollte ich leben. Und das Wendland enttäuschte mich nicht. Die Häufigkeit und Fülle der Vorkommen dieser anspruchslosen Pflanze dürfte deutschlandweit seinesgleichen suchen. Als treue Wegbegleiterin ist sie ab Ende Mai an Wegrändern und auf Bioäckern anzutreffen. Allerdings hat sich das Gewächs hierzulande so etabliert, dass sein Vorkommen auf einem Feld kein Garant mehr für Bioanbau ist. Als ich einmal kamillenblütenpflückend in einem Getreidefeld schwelgte, kam der Bauer vorbei und fragte, was ich da mache. „Da hat die Scheiß Spritzung nicht funktioniert“, fluchte er beim Abrauschen und ließ mich verdutzt zurück.

Kamille

Der lateinische Name der Echten Kamille, Matricaria chamomilla, deutet an, dass sie traditionell die Heilpflanze für Frauen ist (matrix, lat. = Gebärmutter). Für mich ist die Pflanze selbst wie ein Mütterchen, das mich sanft und unaufdringlich an die Hand nimmt und einlädt, mal runterzukommen. Mal raus aus dem Hamsterrad und Gedankenkarussel. Und statt dessen mit der Nase und der Seele einzutauchen in die Welt, wo der Parasympathikus regiert, unser Ruhenerv, der die inneren Organe und den Stoffwechsel steuert. Der dafür sorgt, dass unüberschaubar viele Prozesse in unserem Körper funktionieren – jenseits unseres Bewusstseins und unserer Kontrolle. Hier findet unsere Erholung und Regeneration statt, hier ist die Batterie für unser Immunsystem.

Wenn du losziehst, um dir Kamillenblüten zu pflücken, fängt die Heilung schon an. Dann ziehst du dich mit einer schönen Tasse duftend dampfendem Tee in eine Heil-Blase wie in eine Gebärmutter zurück und spürst, wie du mit jedem Schluck von den Kräften der Kamillenmutter durchströmt wirst. Diese Kräfte kennen sich in deinem Körper aus, wissen genau, wo sie hinmüssen und was zu tun ist. Du brauchst nur zu entspannen…

Das heilende Spektrum der Kamille, die innerlich wie äußerlich angewendet wird, basiert auf den entzündungshemmenden, antibakteriell und krampflösend wirkenden Inhaltsstoffen ihrer ätherischen Öle. Die ebenfalls enthaltenen Flavonoide, die die Pflanze vor schädlicher UV-Strahlung schützen, wirken in unserem Organismus zusätzlich angstlösend und als Radikalefänger.

Die Kamille hilft bei Entzündungen aller Art, vom Zahnfleisch über die Magenschleimhaut bis zu Darmerkrankungen wie Reizdarm und Morbus Crohn. Sie wirkt gegen Bauchschmerzen und Blähungen, wirkt schützend gegen Geschwüre und wundheilungsfördernd. Schon Babys ab ein Jahr bekommen Kamillentee bei Verdauungsbeschwerden, der mit seiner beruhigenden Wirkung auch für entspannten Schlaf sorgt. Frauen unterstützt die Kamille bei Menstruationsschmerzen und Stillproblemen. Bei Erkrankungen im Anal- und Genitalbereich helfen Sitzbäder und Spülungen.

Bei Erkältung und verstopfter Nase genieße ich gern die wohltuende Wirkung eines Kamillendampfbades: Zwei Esslöffel Kamillenblüten in einem Topf mit kochendem Wasser überbrühen, und mit dem Kopf und einem Handtuch drüber zur Kamille unter die Decke kriechen. In den Dämpfen bildet sich entzündungshemmendes Chamazulen aus dem ätherischen Öl der Kamille und lässt die Schleimhäute abschwellen.

Diese tiefblaue Substanz erinnert an Blue Curaçao und dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich selbstangesetztes Kamillenöl (z.B. mit Sonnenblumen-, Sesam- oder Mandelöl) leuchtend grün färbt. Das Öl wird zur Pflege gereizter Haut und Schleimhaut verwendet, wie Sonnenbrand, Ekzeme, Neurodermitis und dient als Grundlage für Salben und Wundcremes.

Eine wirksame Kamillentinktur kann man sich herstellen, in dem man die Blüten für vier bis sechs Wochen in neutralem Alkohol (Korn, Wodka) auszieht. Diese ist innerlich und äußerlich für die vielfältigen Anwendungsgebiete der Kamille verwendbar.

Kamille

Eine ganze Hausapotheke in einer einzigen Pflanze! Die uns hier auf Schritt und Tritt in Fülle begleitet. Im Juni ist die Hauptblütezeit, aber es begegnen uns den ganzen Sommer über blühende Exemplare. Zum Sammeln streife ich mit der geöffneten Hand wie mit einem Kamm durch die verzweigte Pflanze und nehme so nur die Köpfchen mit. Diese trockne ich dann im Schatten auf einem mit dünnem Tuch bespannten Holzrahmen. Mein anfänglicher Versuch, die ganze Pflanze zu ernten und kopfüber zum Trocknen aufzuhängen, erwies sich als unklug – mit dem Trocknen rieselten die Blütenteile zu Boden. Und es sind ja gerade die Blüten, die die wesentlichen Wirkstoffe enthalten. So liegen jetzt die duftenden Köpfe auf dem Trockenrahmen über meinem Bett und sorgen bereits beim Trocknen für guten Schlaf. Bis morgen früh, Mamamille!

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