Wir wollen „die Welt retten“ und gleichzeitig unser gewohntes, schön eingespieltes System beibehalten – wie soll das gehen?
Die Verteidiger der hochtechnisierten Landwirtschaft, die noch das Letzte aus den Flächen und Tieren rausholt, sagen uns immer, mit Bauernhofromantik kann man nicht die Bevölkerung ernähren. Und „der Verbraucher“ will günstige Lebensmittel.
Dazu wollen wir mal etwas klarstellen.
Bauernhofromantik steht hoch im Kurs bei „den Verbrauchern“. Selbst die abgefeimtesten Industrieproduzenten werben mit glücklichen Tieren im Blumenwiesenidyll. Warum? Weil Menschen, die noch nicht psychopathisch deformiert sind, einfach das Herz aufgeht, wenn sie glückliche Tiere in bezaubernder Landschaft sehen. Leider geht noch nicht vielen Menschen gleichzeitig das Licht auf, das diese Fassade hinterfragt und der Geldbeutel, um das wirkliche Idyll zu bezahlen. Aber nochmal zu diesem Ausgangsphänomen, unsere Psyche. Wenn wir schöne Natur sehen, muntere Tiere, „süße“ Kälbchen und flauschige Küken, schüttet unser Körper jede Menge Wohlfühl- und Beziehungshormone aus. Die Natur hat uns offenbar so gebaut, dass wir emotional belohnt werden, wenn es der Natur, von der wir leben, auch gut geht. Eigentlich völlig logisch. So funktioniert ein System, das einen positiven Kreislauf unterstützt und verstärkt, um sich selbst gesund zu erhalten.
Was haben wir daraus gemacht? Wir haben den Menschen der Natur entfremdet, tausend Ersatzbedürfnisse geschaffen für die elementaren Lebenslüste, die der Mensch vorher kostenlos befriedigen konnte, sei es aus der Natur oder im sozialen Austausch. Wir haben Geld geschaffen, mit dem der Mensch sich all dieses (vermeintlich) Lebensnotwendige kaufen kann. Und weil Geld immer knapp ist, müssen die Dinge so billig wie möglich sein. Für den auf diese Weise geschaffenen „Verbraucher“ bemisst sich der Wert der Dinge nur noch im schönen Schein. Die grüne Blumenwiese auf der Plastikverpackung sorgt noch für einen winzigen Ausstoß von Dopamin, das lachende Schwein für eine Prise Oxytocin – das genügt für den Griff ins Regal, der Rest ist der Automatismus des alltäglichen Fließband-Lebens.
Zum Ausgleich gucken wir dann Filme wie „Unsere große kleine Farm“ oder „Das geheime Leben der Bäume“. Aber Vorsicht…! Darin schlummert ein Virus, der in unserer DNA die Erinnerung weckt, wie das Ganze eigentlich mal gemeint war mit dem guten Leben, in dem alles mit allem in höchst vitaler Beziehung steht. Dieser Virus hat das Potenzial, unser ausgeklügeltes und krankmachendes Wirtschafts- und Gesellschaftsverwaltungssystem von innen heraus zu zersetzen. Die Kraft des Lebens ist unzerstörbar und äußerst trickreich. Werber, Banker, Industrielandwirte – nehmt euch in acht. Oder besinnt euch am besten rechtzeitig darauf, wer beim Armdrücken am längeren Hebel sitzt. Die Natur kooperiert gern – wenn man ihr zuhört. Besonders die Permakultur hat bereits viele dauerhaft funktionierende Lösungen von gesunden „Ökosystemen mit Mensch“ erprobt. In der Landwirtschaft zeigt sie mit Agroforstsystemen auf, wie die Vorzüge von Gehölz-Dauerkulturen mit einjährigen Kulturen kombiniert werden können und sich wechselseitig günstig beeinflussen. So wird aus 1 + 1 ein Vielfaches. Die Menschenseele freut sich ob der vielfältigeren Landschaft und der Körper schüttet zur Belohnung einen hormonellen Glücks- und Gesundheitscocktail aus.
Vorhin lief mir im Garten wieder Millie, unser Ausreißerhuhn übern Weg. Stöhn! Erst gestern hatte ich das zuletzt entdeckte Loch gestopft, wo mag sie nun schon wieder einen Weg gefunden haben!? Auf den zerkratzten Rasen haben wir jetzt erstmal abgeschnittene Rosenzweige gelegt. Aber dieses vitale Wesen bei seinen Ausflügen zu beobachten, setzt immer wieder Salven von Glückshormonen frei. Mit ihren sechs Jahren ist sie noch kregel wie ein Youngster, legt große, mörderleckere Eier mit riesigem orangegelbem Dotter. Und ihre Abenteuerlust überträgt sich auf mich. Hey Millie, du ungezähmtes Superweib! So wie du würde ich mein Leben als Huhn auch leben wollen.
Dieses Jahr lassen wir sie mal wieder brüten. Diese Gene der puren und vor Gesundheit strotzenden Lebenslust müssen weiter verbreitet werden. Darin steckt der Virus gegen den Weltuntergang.